Bremen
Auslandsjournalismus in der Krise
Marc Engelhardt (links) und Luka Spahr (rechts) im GesprächFoto: Christiane Seeger
Am 23. Juli stellte der langjährige Auslandskorrespondent Marc Engelhardt seine Studie „Das Verblassen der Welt“ vor. Immer wieder geschehe es, dass man von Entwicklungen im Ausland überrascht wird. Als Beispiele nennt Engelhardt die Zustimmung der Engländer zum Brexit, die Wahl von Trump, den Sieg der Taliban in Afghanistan und nun der Krieg in der Ukraine. Niemand habe etwas davon geahnt. Es fehle, dass Entwicklungen vor Ort kontinuierlich verfolgt und eingeordnet werden, so Engelhardt. Technisch seien wir heutzutage in der Lage, mehr als je zuvor von der Welt zu wissen. Trotzdem gäbe es „weiße Flecken“ in der Welt. Für seine Studie hat Engelhardt 23 überregionale und führende regionale Zeitungen über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht. Das Ergebnis ist, dass die USA am allermeisten im Fokus stehe. Danach folgen überwiegend europäische Länder. Staaten in Südost- oder Zentralasien und Afrika kommen nur selten bis gar nicht vor. Die Südhalbkugel der Erde ist in den Top 20 nicht vertreten.
Die „weißen Flecken auf der medialen Landkarte“ hält Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Erfurt, für geradezu gefährlich: „Wir übersehen unglaublich viel. In unserer Weltwahrnehmung gibt es sozusagen die Zone des Guten: Europa, vielleicht die USA. Und der Rest scheint mir doch oft als eine Art außersystemisches Chaos zu existieren: Kriege, Armut und so weiter. Die Widerstände gegen Globalisierung speisen sich auch aus diesen intuitiven Weltbildern. Das kann nicht in unserem Interesse sein, so zu denken. Denn in anderen Weltteilen passieren spannende Dinge, die für uns morgen – auch ökonomisch – unmittelbar relevant sind“ (Schäfers 2018).
Engelhardt sagt, alle deutschen Korrespondenten in Afrika hätten ihren Sitz in Kenia, Südafrika und Ägypten und deckten von dort aus den ganzen Kontinent ab. Es wäre beispielsweise kein Korrespondent in Mali, um vom dortigen Krieg zu berichten. Wenn der Bundeswehrauslandseinsatz thematisiert wird, erfolge dies fast ausnahmslos von Korrespondenten aus Berlin. Daher seien nur kleine Ausschnitte zu sehen.
Die Gründe der Krise des Auslandsjournalismus sieht Engelhardt in erster Linie im Verschwinden der Korrespondentinnen und Korrespondenten, bedingt durch die Ausdünnung der Auslandsseiten und Sendeplätze sowie dem Schrumpfen der Budgets und Redaktionen. Weitere Gründe sind die wachsenden Barrieren für die Auslandsberichterstattung und schließlich die Zunahme von Propaganda. Corona habe die Probleme verstätigt oder verschlimmert. 68 Prozent der von Engelhardt befragten freien Auslandskorrespondenten gaben an, dass Aufträge schlechter honoriert würden. Er appelliert, dass dringend mehr und nicht weniger in den Auslandsjournalismus investiert werden müsse. Unabhängige Korrespondentennetzwerke wie beispielsweise die Weltreporter oder Riffreporter, die Korrespondentin etc. seien zu stärken. Mehr Auslandsseiten in den Printmedien, mehr Sendeplätze im Rundfunk oder digitalen Diensten werden benötigt. Verleger würden ihr Sparmodell damit begründen, dass „der Leser keine Auslandsberichterstattung möchte“. Auslandsberichterstattung könne ein staatliches Engagement für Pressefreiheit im Ausland unterstützen. Engelhardt plädiert für eine öffentliche Förderung der Auslandsberichterstattung, ähnlich wie beispielsweise die Filmförderung.
Durch den Abend führte Luka Spahr (Fachausschusssprecher Junge im DJV Bremen). Etwa 15 interessierte Zuhörer*innen fanden trotz des warmen Sommerwetters in die Krimibibliothek. Die Veranstaltung gehört zum Begleitprogramm der Ausstellung "Vergessene Welten - Über die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens", die noch bis zum 26. Juli 2022 in der Stadtbibliothek Bremen zu sehen ist.
Wer sich für die komplette Studie interessiert, kann sie hier kostenlos herunterladen.
(Text und Foto: Christiane Seeger)