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Bremen

OBS-Studie untersucht Situation freier Journalist*innen in der Corona-Pandemie

31.03.2022

+++ Einkommen und Aufträge brechen in der Pandemie ein, staatliche Hilfen laufen zu Beginn ins Leere +++ Kompensation häufig durch Aufträge aus Public Relations oder Arbeiten außerhalb des Journalismus +++ Nachhaltige Schäden drohen vor allem im Print- und Lokaljournalismus, dauerhafte Abwanderung ist eine reale Gefahr +++ Verbesserung der Arbeitsbedingungen nebenberuflicher freier Journalist*innen dringend geboten +++

Viele freie Journalist*innen wurden von der Corona-Pandemie hart getroffen. Während es für fast alle Freien gleichermaßen zu kurzzeitigen Einkommens- und Auftragseinbußen kam, blieben insbesondere nebenberufliche freie Journalist*innen im Print- und Lokalbereich längerfristig von Beschäftigungsmöglichkeiten abgeschnitten. Durch die Pandemie wurden bereits vor der Covid-19-Krise bestehende Probleme, wie etwa die schlechte Bezahlung, verstärkt. Sie bedrohen den Lokal- und Printjournalismus existenziell. Das sind die zentralen Befunde einer Untersuchung über die „Erosion von Öffentlichkeit“ in der Corona-Krise, die die Otto Brenner Stiftung vorgelegt hat. Die Studie der Bremer Forschenden Prof. Dr. Barbara Witte (Hochschule Bremen) und Prof. Dr. Gerhard Syben (Forschungsinstitut BAQ Bremen) zeichnet mittels einer qualitativen Regionalstudie nach, unter welchen Bedingungen „Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie“, so der Untertitel der Arbeit, ihren Beruf ausüben mussten.

Die Ergebnisse zeigen ein breites Spektrum: In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wurde die tägliche Arbeit durch die Hygienemaßnahmen umstrukturiert und dadurch aufwändiger. Die Beschäftigung freier Journalist*innen konnte jedoch aufrechterhalten werden – auch aufgrund der stabilen Finanzierungsgrundlage der Öffentlich-Rechtlichen. In Einzelfällen führten die Maßnahmen sogar zu höherem Personalbedarf, sodass einige Freie Einkommenszuwächse gegenüber der Vorkrisenzeit verzeichnen konnten. Auf der hauptsächlich durch Tageszeitungen abgedeckten lokalen Ebene entfielen hingegen monatelang die Anlässe der Berichterstattung und damit auch die Beschäftigungsmöglichkeiten für Freie: Kulturelle Veranstaltungen, Termine der politischen Selbstverwaltung und Sportereignisse fanden überhaupt nicht oder nur sehr reduziert statt. Die Einkommenseinbrüche trafen dabei auf eine Situation, in der insbesondere nebenberufliche Freie bereits mit sehr niedrigen Honoraren zu kämpfen hatten. „Häufig wird die Arbeit freier Journalistinnen und Journalisten bei Tageszeitungen und im Lokaljournalismus nicht einmal auf Mindestlohn-Niveau vergütet“, so Studienautor Gerhard Syben, „hier wirkte die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger bestehender Probleme.“ So hätten sich im Zuge der Krise die Ambitionen vieler Freier verstärkt, dem Journalismus ganz den Rücken zu kehren oder zunehmend auf andere Jobangebote, beispielsweise aus den Public Relations, zurückzugreifen. Die Studie zeigt, dass es parallel auch aufseiten der Redaktionen Überlegungen gibt, zukünftig auf den Einsatz nebenberuflicher freier Journalist*innen zu verzichten. „Beide Entwicklungen zusammen könnten dazu führen, dass ein Großteil der lokalen Berichterstattung aufgegeben werden muss – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die demokratische Öffentlichkeit“, warnt Mitautorin Barbara Witte, denn: „Lokal- und Regionalzeitungen spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn es darum geht, entscheidungsrelevante Informationen aus dem Nahbereich der Bürgerinnen und Bürger zu generieren“.

Missstände konstatiert die Untersuchung auch im Bereich der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen: Die Hilfen waren über lange Zeit unzureichend konzipiert und schlossen freie Journalist*innen als Soloselbstständige aus dem Pool der Anspruchsberechtigten aus. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass den Verlagshäusern, die für ihre festangestellten Journalist*innen das Instrument der Kurzarbeit einsetzten, untersagt war, in dieser Zeit Aufträge an Freie zu vergeben. Folglich waren die freien Journalist*innen oftmals auf eigene Rücklagen und Hilfe aus persönlichen Netzwerken (Familie und Freundeskreise) angewiesen oder musste ihren Lebensstandard einschränken.

Welchen Stellenwert der Journalismus für eine Gesellschaft wirklich habe, zeige sich insbesondere an seinen „Rändern“, also bei freien Journalist*innen, heißt es im Vorwort zur Studie. „Ein Marktversagen im Lokaljournalismus kann sich eine demokratische Öffentlichkeit nicht erlauben“, bekräftigt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: „Zur nachhaltigen Verbesserung der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen sowie der sozialen Absicherung aller freien Journalist*innen müssen gesetzliche Regelungen her, die eine weitere Erosion der Öffentlichkeit verhindern.“

Barbara Witte/Gerhard Syben: Erosion von Öffentlichkeit. Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie, OBS-Arbeitsheft 109, Frankfurt am Main 2022

Autoren-Team:

Prof. Dr. Barbara Witte
Hochschule Bremen
mobil: +49 173 96 22 168
E-Mail: barbara.witte(at)hs-bremen.de 

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