DJV
Solidarität mit der Ukraine!
Diese Rede hat Libuse Cerna, unsere Fachausschusssprecherin Europa, am Freitag, den 25. Februar auf dem Bremer Marktplatz gehalten.
Liebe Bremerinnen, liebe Bremer,
vor zwei Tagen fuhr ich mit der U-Bahn in Prag, mir gegenüber saß eine junge Frau mit ihrem vielleicht fünfjährigen Sohn, sie sprachen leise miteinander, auf Ukrainisch. Ihre Angst, ihre Hilflosigkeit war greifbar, sie war fast materiell. Die Szene kann ich nicht vergessen. In der Tschechischen Republik leben, arbeiten, studieren nach offiziellen Angaben 150.000 Menschen aus der Ukraine. In der Slowakei, in Polen noch wesentlich mehr. Sie alle haben ihre Familien, ihre Freunde in Lviv, Charkiv, Kiew, in Saporoshje.
Die müssen jetzt um ihr Leben fürchten.
Seit Tagen habe ich, haben wir Bilder und Narrative aus der Vergangenheit im Kopf. Das Münchner Abkommen, die Abtrennung der Sudentengebiete, die Parzellierung Europas bei der der Jalta-Konferenz, die Teilung Deutschlands, den Einmarsch der russischen Armee 1968 in die Tschechoslowakei. Es ist ein déjà vu. Diese Assoziationen scheinen erschreckend zu stimmen, doch sind sie nicht stimmig. Wir leben im Jahr 2022 und haben alle gehofft, die Dämonen des vergangenen Jahrhunderts hinter uns gelassen zu haben. In den kruden, demagogischen Reden von Wladimir Putin vom vergangenen Montag und Donnerstagnacht wurden die Phantome eines hegemonialen Machtanspruchs wieder lebendig. Unfassbar.
Mit der gleichen Logik könnten auch die Österreicher in Italien oder Slowenien einmarschieren. Denn auch diese Länder, genauso wie Ungarn, Kroatien, die Tschechische Republik, die Slowakei oder Teile der heutigen Ukraine gehörten schließlich zur K.u.K.-Monarchie und bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war die Amtssprache dort überall deutsch.
Träumen wir? Es ist leider kein Albtraum, aus dem wir erwachen könnten. Es ist die Realität. Schließlich sagte auch der Marionettenpräsident von der sogenannten Republik Donezk Denis Pusilin am Montag: sein Staat sei so klein, er müsse doch zum großen Russischen Reich gehören. Er benutzte wahrlich den Begriff Russisches Reich.
Es ist müßig heute darüber zu sprechen, welche Fehler in der Kommunikation mit dem selbst ernannten Herrscher über Leben und Tod Wladimir Wladimirowitsch Putin gemacht worden sind. Gewiss wurden sie gemacht. Die europäischen Staaten sind seit Jahren mit sich selbst beschäftigt, mit den Geflüchteten, mit den Folgen des Klimawandels, mit der Pandemie. Die Strategien der Weltpolitik wurden vielleicht vernachlässigt. Es spielt keine Rolle mehr. Es ist ziemlich offensichtlich, dass der Überfall auf die Ukraine lange – vielleicht schon Jahre vorher - geplant und vorbereitet worden ist. Und dass die Forderungen des russischen Präsidenten nicht erfüllt werden konnten, ja, sie sollten gar nicht erfüllt werden. Das war doch ein Teil des Kalküls. Und man wartete anscheinend nur auf einen günstigen Moment.
Putin ist Kriegsverbrecher, er gehört vor das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Er führt einen Krieg gegen einen souveränen Staat, einen Krieg gegen die Menschen in der Ukraine. Einen Krieg gegen uns alle: gegen das Völkerrecht, gegen die Freiheit, gegen die Demokratie.
In den vergangenen Tagen habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Überwiegend spürte ich Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Ohnmacht. Es sei zu groß, es sei Weltpolitik, auf die wir keinen Einfluss nehmen können. So die weit verbreitete Meinung. Ist es so?
Ich möchte den Schriftsteller, ehemaligen Dissidenten und schließlich Staatspräsidenten Vaclav Havel zitieren: „Gleichgültigkeit den Anderen gegenüber, Gleichgültigkeit dem Schicksal einer ganzen Gemeinschaft gegenüber ist genau das, was dem Bösen das Tor öffnet“.
Wir dürfen nicht gleichgültig sein. Wir dürfen das Tor dem Bösen nicht öffnen. Und dafür müssen wir aus unserer Komfort-Zone raus. Denn auch wenn wir die Nachrichten hier nur auf dem Bildschirm verfolgen, auch wenn wir es nicht begreifen, wenn wir denken, es kann nicht sein. Es ist absolut surreal. Nein, es ist real. Und es ist eine Bedrohung für uns alle.
Deswegen müssen wir den Menschen in der Ukraine helfen, den Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen in der Ukraine und den demokratisch gesinnten Menschen in Russland suchen. Wir müssen neue Wege der wehrhaften Demokratie betreten, so wie die Hacker Anonymus, die die Ausstrahlung des TV-Programms von Russia today heute gestört haben, so wie die Klienten, auch die Privatkunden, die ihre Konten bei der russischen Sperbank, die zu der russischen Nationalbank gehört, kündigen. Oder wir können uns der Initiative von couchsurfing anschließen und unsere Wohnzimmersofas zur Verfügung stellen. Wir müssen unsere Meinung demokratisch zum Ausdruck bringen und damit unsere gewählten Politikerinnen und Politiker in ihrer Haltung bestärken, wir müssen ihre Schritte unterstützen. Unsere Regierungen müssen eindeutig, entschieden, gemeinsam, geschlossen verhandeln – soweit es geht – und konkret handeln. Das müssen wir einfordern. Auch wenn die Konsequenzen für jeden Einzelnen von uns spürbar, ja sogar schmerzhaft werden. Denn wenn wir es jetzt nicht tun, werden die Folgen unabsehbar.
25.2.2022 Libuse Cerna
Fotos: Barbara Larisch